Die Aeroplane in Brescia
Am 11. September 1909, besuchte Franz Kafka mit seinem Studienfreund Max Brod und dessen Bruder Otto eine Veranstaltung in der norditalienischen Stadt Brescia. Es war eine Flugshow in einem Aerodrome - etwas zu damaliger Zeit völlig neues und für die Menschen, die dieser Show beiwohnten, ein unglaubliches Spektakel.
Kafka war nicht nur anwesend - er verfasste auch den einzigen jemals von ihm geschriebenen Artikel für eine Zeitung. Es ist die erste journalistische Darstellung einer solchen Flugshow überhaupt und der Text hat einen großartigen, zeitlosen Touch.
Wir können uns so ein Spektakel heute kaum vorstellen. Wenige Wochen vor dieser Flugshow war es dem Franzosen Louis Blériot gelungen, mit seiner Flugmaschine den Ärmelkanal zu überqueren. Er galt als der Superstar dieser Flugshow, dessen Preis jedoch Glen Curtiss gewann. Kafka beschreibt die Szenerie bei dieser Flugshow und gibt für uns Einblicke, die die Stimmung für uns heute noch erlebbar machen:
"Wir kommen an den Hangars vorüber, die mit ihren zusammengezogenen Vorhängen dastehen, wie geschlossene Bühnen wandernder Komödianten. Auf ihren Giebelfeldern stehn die Namen der Aviatiker, deren Apparate sie verbergen, darüber die Trikolore ihrer Heimat."
Natürlich sind die "Apparate" keine Flugzeuge, wie wir sie heute kennen. Es sind zusammgezimmerte Konstrukte, statisch und steif, extrem mechanische Gebilde, in denen die "Aviatiker" offen und aufrecht auf Balken sitzen und sich in die Gefahr begeben. Wie Akrobaten in einem Zirkuszelt, nur das in diesem Fall der unendliche Himmel das Zirkuszelt ist.
"Es war nur der Apparat Leblancs, der bisher gezeigt wurde. Nun aber kommt der Apparat, mit dem Blériot den Kanal überflogen hat; keiner hat es gesagt, alle wissen es. Eine lange Pause und Blériot ist in der Luft, man sieht seinen geraden Oberkörper über den Flügeln, seine Beine stecken tief als Teil der Maschinerie. Die Sonne hat sich geneigt und unter dem Baldachin der Tribünen durch beleuchtet sie die schwebenden Flügel. Hingegeben sehn alle zu ihm auf, in keinem Herzen ist für einen andern Platz. Er fliegt eine kleine Runde und zeigt sich dann fast senkrecht über uns. Und alles sieht mit gerecktem Hals, wie der Monoplan schwankt, von Blériot gepackt wird und sogar steigt."
Aber nicht nur diese Schilderungen sind interessant. Kafka beobachtet auch die Menschen - besonders das damals neumodische Outfit der Damen der gehobenen Klasse beschreibt er ganz vorzüglich:
"Das am Oberkörper lose Kleid läßt die ganze Gestalt von rückwärts etwas zaghaft erscheinen; ein wie gemischter, ruheloser Eindruck entsteht, wenn solche Damen zaghaft erscheinen! Das Mieder liegt tief, kaum noch zu fassen; die Taille scheint breiter, als gewöhnlich, weil alles schmal ist; diese Frauen wollen tiefer umarmt sein."
Der Kafka-Kenner Reiner Stach schreibt in seinem Buch "Ist das Kafka?" ⧉ ebenfalls von diesem Ereignis und zeigt uns ein Foto einer Besucherreihe dieser Flugshow. Er ist sich ziemlich sicher, dort auch Kafka zu erkennen, dessen Kleidung mit Beschreibungen aus anderen Quellen übereinzustimmen scheint.
Den vollständigen Text dieses Artikels können Sie hier nachlesen ⧉. Erschienen in "Bohemia" am 29. September 1909, einige Wochen nach diesem Ereignis.