Aktuelle Recherche - Die Standardwerke
Und weiter geht es mit den Rezensionen zu meinen Recherchen. Wenn ich alle Rezensionen fertig habe, dann befindet sich auf www.killert.de eine umfangreiche Sammlung mit Eindrücken zu Büchern und Medien rund um das Thema 68er Generation / Studentenbewegung / RAF. Es geht weiterhin um meine Lektüren zu meinem nächsten Buch. Das genaue Thema und die Verbindungen zu diesen Recherchen erkläre ich in einem der nächsten Einträge.
Diesen und die nächsten beiden Einträge möchte ich dabei jeweils unter einen Oberbegriff stellen. In diesem Eintrag geht es um die Medien, die ich als „Standardwerke“ einstufen würde. In dem in der kommenden Woche folgenden Eintrag geht es um Medien, bei denen die Autoren eine bestimmte Intention verfolgen, ja sogar einige Theorien vertreten, die man tatsächlich als Verschwörungstheorien abtun kann. In einem letzten Eintrag gehe ich dann auf die Medien ein, die die wichtigsten für meine Recherche waren. Und dann werde ich auch das eigentliche Thema meines kommenden Buches verraten.
Während die ersten Rezensionen die für mich überraschendsten Bücher behandelt haben, geht es jetzt um Bücher oder vielmehr Medien, die Grundlage sind, die Fakten vermitteln und unverzichtbar für Menschen, die sich mit der Thematik des sogenannten „Deutschen Herbstes“ auseinandersetzen. Dabei handelt es sich um vier Bücher, einen Film und eine Tondokumentation.
Beginnen wir mit dem Film. Es ist der Film, der den Begriff „Deutscher Herbst“ hervorgebracht hat. Damit ist ein zeitlicher Abschnitt von April 1977 bis Oktober 1977 gemeint – der Zeitraum der erpresserischen Anschläge der RAF.
Deutschland im Herbst, 1978,
Regie u.a. Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff.
Rainer Werner Fassbinder kratzt sich am Sack während er telefonisch von dem Tod der RAF Häftlinge in Stammheim erfährt. Volker Schlöndorff inszeniert eine fiktive Diskussion um die Verfilmung der „Antigone“, die so verfremdet werden muss, dass niemand Anstoß an öffentliche Diskussionen nehmen darf. Und dann gibt noch ein Interview im Gefängnis mit Horst Mahler, dem Anwalt, der die Radikalisierung der RAF koordiniert hat wie kein anderer. Die Episoden werden eingerahmt mit dokumentarischen Szenen von drei Stuttgarter Begräbnissen. Erwin Rommel, dessen Tod von den Nazis als Heldentod inszeniert worden war, das Begräbnis von Hanns Martin Schleyer, ermordet von der RAF und schließlich das Begräbnis der Stammheimer Häftlinge – alle drei Beerdigungen haben den Charakter einer Inszenierung.
Dieser Episodenfilm hat dem Herbst 1977 seinen Namen gegeben. Die fiktiven Episoden, der Dialog zwischen Fassbinder und seiner Mutter, die sich nach alten Zeiten zurücksehnt, haben vielleicht einen künstlerischen Anspruch, können aber, gerade aus heutiger Sicht, übersprungen werden. Der dokumentarische Charakter, der eben auch Randfiguren zeigt, ist jedoch sehr interessant. Am Ende des Films verlassen die letzten 68er den Dornhaldenfriedhof auf dem die Stammheimer Terroristen beerdigt wurden. Die Kleidung lässt noch an die Anfänge der Bewegung, an Flowerpower erinnern – aber sie alle starten in ein anderes, bodenständigeres Leben. Der Film zeigt in seinen dokumentarischen Teilen die vielen kleinen Szenen abseits der Ereignisse, die wir aus den vielen politischen Dokumentationen zu dem Thema kennen. Er bettet den Herbst 1977 in eine Alltäglichkeit ein und hält damit eine Stimmung fest. Und genau darauf kommt es ja in der Recherche an. Der Film kann in kompletter Länge bei YouTube angesehen werden.
Stefan Aust – „Der Baader-Meinhof-Komplex“
Stefan Aust, ehemaliger Redakteur der St. Pauli Nachrichten, Mitarbeiter des NDR, Mitarbeiter bei „konkret“ gilt spätestens seit seiner Zeit als SPIEGEL Chefredakteur (1994-2008) als einer der einflussreichsten Journalisten in Deutschland. Zur RAF hat er einen konkreten Bezug. Er hat die Töchter von Ulrike Meinhof entführt und zurück nach Deutschland gebracht. Über die Zeitschrift „konkret“ und Klaus Röhl, ihrem Herausgeber und Ehemann von Meinhof, hatte er Kontakte in die linke Szene. Die Beschäftigung mit der RAF ist eines der großen Themen, mit denen sich Aust seit Jahren beschäftigt. Dieses Standardwerk ist mehrfach aufgelegt worden und vor einigen Jahren mit Erkenntnissen aus Stasi-Akten ergänzt worden. Es war auch die Grundlage des gleichnamigen Kinofilms, der insbesondere bei den Hinterbliebenen der RAF Opfer für Unmut gesorgt hat.
Das Buch und auch der Film sind zweifellos eine minutiöse Aufbereitung der Ereignisse, die zu 1977 geführt haben. Er deckt die wesentlichen Ereignisse von 1967 bis 1977 ab. Was man Aust mehrfach vorgeworfen hat – und in einigen Fällen nachweislich zurecht – ist die starke Orientierung der Darstellung an den Aussagen des Ex-Terroristen Peter-Jürgen Boock, der immer wieder in Talkshows auftaucht und von einigen Journalisten mal als der „Karl May der RAF“ bezeichnet worden ist. Boock hat sich auch mehrfach als Schriftsteller versucht. Ich erinnere mich an ein Vorwort in einem seiner Bücher, in dem jemand eine Lanze für ihn gebrochen hatte (ich glaube es war irgendein Pfarrer) und dargestellt hatte, dass er seine Unschuldsbeteuerungen vorbehaltlos glaube – wenige Jahre später kam heraus, dass Boock keinesfalls ein Mitläufer gewesen war, sondern einer der Haupttäter, beteiligt an nahezu allen Aktivitäten der RAF. Man sollte, ja man muss diese Ausführungen von Boock hinterfragen. Wieviel aus „Der Baader-Meinhof-Komplex“ aus en Interviews mit Boock stammt, weiß vermutlich nur Stefan Aust.
Butz Peters – „Tödlicher Irrtum“
Demnach ist es ratsam ein zweites Standardwerk heranzuziehen. Das ist das Buch „Tödlicher Irrtum“ von Butz Peters. Es hat in etwa denselben Umfang wie „Der Baader-Meinhof-Komplex“ hat aber einen deutlich unterhaltsameren Charakter, da Peters doch eher wie ein Erzähler vorgeht, ab und an rhetorische Fragen stellt und nicht so eine nüchterne journalistisch, sachliche Sprache nutzt wie Aust. In diesem Buch wird etwas weniger auf die Anfänge der RAF eingegangen. Während Aust mit 1967 beginnt und auch viele Nebenhandlungen beschreibt (Tod von Benno Ohnesorg, „Bewegung 2. Juni“ etc.) ist Butz Peters Buch tatsächlich auf die eigentliche Geschichte der RAF beschränkt. Ich würde aber sagen, dass “Tödlicher Irrtum” wohl das kompletteste Standardwerk zu diesem Thema ist.
Ulf C. Stuberger – „Die Akte RAF“
„Die Akte RAF“ von Ulf C. Stuberger verfolgt einen hochinteressanten Ansatz. Er gibt in seinem Buch die tatsächlichen Gerichts-Urteile gegen die verurteilten Terrorristen der RAF wieder. Die sind bis heute der Öffentlichkeit unzugänglich und waren, wie der Autor darlegt, auch für ihn in wichtigen Abschnitten geschwärzt worden – laut Bundesanwaltschaft wegen eines übergeordneten Interesses der Bundesrepublik Deutschland. Was immer das heißen mag.
Das Buch ist nicht objektiv. Stuberger erklärt viel mehr die starke Fokussierung auf die Täter, statt auf die Opfer und fragt sich zurecht, warum so viele Taten bis heute unaufgeklärt sind und warum so mancher verurteilter Terrorist relativ schnell wieder auf freiem Fuß war und heute und anderem Namen in sozialen Einrichtungen praktizieren darf. Die Verschleppung und Verdrehung vieler Ermittlungsarbeiten, die statt von den Behörden von Angehörigen erledigt werden, kann und will er gar nicht objektiv beleuchten. Das ist keine Schwäche des Buches – es ist schlichtweg nicht möglich selbst rechtskräftige Gerichtsurteile als etwas aufzufassen, was mit Wahrheit etwas zu tun haben könnte. Zu groß sind die Widersprüche, zu groß die Lücken in der Ermittlungsarbeit.
Rote Armee Fraktion – Texte und Materialien
Völlig objektiv hingegen ist dieses Buch. Es ist nichts anderes als eine Sammlung von Dokumenten und zeitlichen Abläufen in der Geschichte der RAF. Das betrifft Zeitungsartikel, Bekennerschreiben, bekannt gewordene Korrespondenzen. Alles chronologisch geordnet – die Chronologie ist hier der einzige rote Faden. Das Buch hat keinen Autor, die Texte sind unkommentiert und ohne Kenntnis der Zusammenhänge für einen Leser völlig wertlos. Das ist also kein Buch, das man so runterlesen kann. Es dient der teilweise extrem schweren Analyse sehr wirrer, oftmals pseudointellektueller Texte, die nur den Zweck haben, Gewalt zu rechtfertigen. In diesem Buch kann man natürlich keine einzige brauchbare Rechtfertigung der RAF für die Gewalt finden. Man erkennt aber feine, sprachliche Nuancen, wenn selbst RAF Terroristen immer wieder Unterscheidungen zwischen Staatsschutz, Politik und Exekutive machen. Ein aufmerksames Lesen, sucht man nach einem bestimmten Recherchekontext, ist hier sehr hilfreich.
Die Stammheim-Bänder
Das letzte Medium, das ich hier vorstelle ist kein Buch, sondern es ist eine CD. Die „Stammheim-Bänder“ sind ein Zusammenschnitt der 2007 aufgetauchten Bänder, die bei dem Prozess gegen Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe mitgeschnitten worden sind. Eigentlich hätten diese Bänder vernichtet werden müssen – aber da hat wohl jemand seinen Job nicht gemacht. Die Autoren der CD haben aus unzähligen Bändern einen Zusammenschnitt konstruiert, der einen sehr kurzen, kleinen Einblick in den Stammheimer Prozess gibt. Man hört einen extrem aufgebrachten Otto Schily, der mit haarsträubenden Argumenten die gesamte Prozessgrundlage in Frage stellen möchte, einen Andreas Baader, der intellektuelle Botschaften irgendwie näselnd abzulesen scheint und der an dessen fehlender Akzentuierung erkennen lässt, dass er gar keine Ahnung von dem hat, was er da sagt. Und man hört den berühmt gewordenen Hilferuf von Ulrike Meinhof, den damals aber offensichtlich niemand als solchen wahrgenommen hat. Fazit: das ist absurdes Theater, Beleg für den pseudointellektuellen Unterbau der RAF Gründer und von hohem dokumentarischem Wert.
In meinem nächsten Eintrag stelle ich dann die Medien vor, die ich aus diversen Gründen für etwas grenzwertig halte und die statt einer objektiven Darstellung nur eine bestimmte Intention verfolgen. Das ist zwar interessant, kann aber irreführend sein.
Die Stammheim Protokolle
2023 muss ich doch ein weiteres Medium in dieser Kategorie hinzufügen. Das Buch ist erst 2021 erschienen und eine perfekte Ergänzung, insbesondere zu den "Stammheim-Bändern". Das Buch nennt sich "Die Stammheim Protokolle" und wurde von den Autoren Florain Jesseberger und Inga Schuchmann zusammengestellt. Es komprimiert viele tausend Aktenseiten des Prozesses gegen die führenden Köpfe der RAF zwischen März 1975 bis Mai 1977. Größter Einschnitt ist der Selbstmord von Ulrike Meinhof im Mai 1976.
Die Protokolle zeigen vor allem auch die vielen Unterbrechungen, bei denen es gar nicht um die Sache oder um Fakten ging, sondern um die Widerstände der Personen auf der Anklagebank, die dem Gericht jegliche Legitimität absprechen wollen. Das beginnt mit der Diskreditierung der eigenen Anwälte als "Zwangsanwälte", setzt sich in Beleidigungen des Gerichtes fort, entlarvt aber auch die intellektuellen Zustände der Personen. Während sich ein Jan Carl Raspe sprachlich sehr gewählt ausdrückt, ist auch hier das Gestammel eines Andreas Baader offenkundig (wie schon in den Stammheim-Bändern). Es ezigt sich aber auch die Veriwrrtheit einer Ulrike Meinhof, besondern in dem bekannten, aber verklausulierten Hilferuf aus dem Mai 1975, der hier natürlich einen größeren Kontext gestellt wird.
Eine der zentralen Personen ist der Anwalt Otto Schily, der vor Gericht Gudrun Ensslin vertritt. Kaum zu glauben, dass er später als SPD Innenminister einen doch sehr konservativen Politikstil pflegte. Die Wandlung dieses Menschen ist an sich schon ein spannendes Thema. Schily erwähnt zum Beispiel im März 1977, kurz vor Ende des Verfahrens, die Tatsache, dass die Angeklagten in den Zellen abgehört werden. Das wurde damals als eine der vielen Verschwörungstheorien abgetan. Viele Jahre später wurde das bestätigt. Die ganze Geschichte ist ein Sammelsurium aus Beleidungen, Pseudideologie und Halbwahrheiten, die bis heute die Tatsachen verdecken. Diese Protokolle verstärken diesen Eindruck und bringen nur insofern Klarheit, als das sie diese Verklärtheit dieser Zeit erklären - auflösen können sie sie aber nicht ... . Sehr interessante Lektüre.